Wer träumt nicht davon, mit dem Segelboot ferne Länder zu bereisen? Damit ich abschätzen kann, ob mir offenes Hochseesegeln über mehrere Tage überhaupt liegt, muss ich auf die Nordsee. Helgoland an Ostern war der erste Schritt. Jetzt habe ich mir nochmals eine Woche frei nehmen können und zog auf einer Nordseekarte um Lemmer einen großen Kreis, um zu sehen, welche Ziele in einer Woche hin und zurück theoretisch machbar wären. Da gibt es bei den vorherrschenden Winden (W oder SW oder O/NO) zwei Möglichkeiten: Südnorwegen z.B. mit Flekkefjord oder ein Ort an der ostenglischen Küste Richtung Schottland hoch. Beides mit ca. 300 sm in drei Tagen hin und drei Tagen zurück bei geeignetem Wetter machbar. Das hab ich über windy.com jeweils für gut eine Woche seit mehreren Wochen beobachtet. Leider ist an Südnorwegen mindestens einmal die Woche seit Wochen Schwerstwetter mit Böen bis jenseits der 40 kn und 3 + x m hohen Wellen. Auch für diese Woche angesagt. Hin wäre problemlos gewesen, zurück zu gefährlich für einen Anfänger wie mich.
Die Entscheidung fiel erst am Samstag: Es sollte Whitby sein. Dafür wäre die Schleuse bei Den Oever optimal, aber da ich bis dahin von Flekkefjord ausgegangen war, hatte ich mich schon nach Makkum durchgequält. Gequält, denn das Ijsselmeer wollte mich nicht gehen lassen und schickte mir Winde mit 4-5 Bft von N/NW mit ständigen Drehern. Also genau die Richtung, in die ich wollte. Ich habs trotzdem versucht und bin gekreuzt, bis der Tag dem Ende entgegen ging. Dann habe ich kurz hinter der Höhe Hindeloopen aufgegeben und bin die restlichen 1,5 h gegenan motort -ich wollte ankommen und nicht alle Kraft jetzt schon verbrauchen. Dann der letzte Wettercheck und Umplanung nach Whitby. Den Reeds hatte ich dabei, jetzt hieß es sich intensiv noch einmal mit dem optimalen Weg durch die vielen Verkehrstrennungsgebiete (VTG’s) zu beschäftigen.
Leider erlaubte die Tide den Antritt zur Waddenzee erst mittags gegen 12.30 Uhr ab Kornwederzand. Da war ich zwei Stunde vorher, erwischte die zweite Schleusung und durfte dann vor der Brücke hinter der Schleuse gut 30 Minuten gegen schrägen Seitenwind im Pulk warten, weil wegen der Reparaturarbeiten noch die Schleusung nach uns abgewartet wurde, um Brückenöffnung zu sparen. Aber dann raus in die Waddenzee und das genau pünktlich, wie die Tide vorgab. Die Segel noch im Schleusenvorbecken hoch und ab gings. Nicht lange nur unter Segeln, der Motor musste häufiger mit helfen.
Bei Harlingen dann großes Ankern vor dem Hafen bis das Fahrwasser entlang, weil wohl Tall Ship Race war und jetzt alle Dreimaster hintereinander den Hafen gen Nordsee verließen. Ein toller Anblick bei bestem Sonnenschein! Also wie gewohnt links ins Sportfahrwasser, um an allen vorbei zu fahren. Kurz darauf ein Schnellboot der Polizei. Ich solle doch bitte ins Fahrwasser rechts. Auf meine Rückfrage, ob das kein Sportfahrwasser mehr sei kam die höfliche Antwort: Heute nicht. Also ab ins Hauptfahrwasser, rechts, mit vorsichtigem Abstand nach Steuerbord, wo wegen Hochwasser der Steinwall nicht sichtbar war. Wenige Minuten später dann ein Schnellboot der KNRM. Ich solle doch bitte ins Sportfahrwasser oder jedenfalls mehr in die Mitte, damit der Steinwall für mich nicht zur Gefahr wird.
Sowas hatte ich in all den Jahren auch noch nicht erlebt. Also mehr Abstand und gut wars dann. Majestätisch zogen die Dreimaster mit der Zeit an mir vorbei, ein toller Anblick. Wir begleiteten uns noch bis hinter Vlieland, als die Dreimaster dann alle anderer Wege zogen. Für mich hieß der Kurs N, um das erste VTG mit 342° zu kreuzen -rechtwinklig muss sein, das hatte ich dann vorher vorbereitet. Der Kiel wurde jetzt runter gelassen, und das Ziel konnte ins Auge gefasst werden.
Zum Glück war wenig Verkehr und ich konnte problemlos durch das erste VTG. Auf der Gegenspur begegnete mir dann ein Geisterschiff: Die Evergreen. Aber auf dem AIS nicht als Evergreen sondern mit einem anderen Namen. Sehr sonderbar. Aber auch die war vorbei, bevor ich durch fuhr. Der Wind kam aus S bis SW, was das nächste VTG zur Qual machte, weil ich in dessen Fahrwasser wechselte, um nach Norden auszufahren, aber bei Einhaltung der Fahrtrichtung dann nur Wind und Welle voll von hinten gehabt hätte. Die Schaukelei wollte ich mir nicht antun. Da nichts los war und nur ein Frachter von Steuerbord weit weg entfernt sichtbar, entschloss ich mich mit spitzen Winkel durch die wenigen Seemeilen des Fahrwassers auf die linke Fahrwasserseite zu wechseln. Bei Schiffsverkehr hätte ich das nicht gemacht, aber so war es ein guter Kompromiss. Denn direkt hinter dem VTG gings ab nach Westen, fast genau, bis Whitby. Der Wind kam jetzt irgendwo seitlich so, dass ich bequeme am Wind Kurse hatte. Damit war der härteste Teil vor der Hafenzufahrt durch und ich konnte die nächste Zeit entspannen.
Die Nacht hielt Einzug und mein 20 Minuten-Ruherhytmus begann, zu tun gabs ja nichts. Das AIS ist ein Segen und so drehte ich den Plotter 180°, so dass ich vom Niedergang aus jederzeit Überblick hatte. Gefährliche Ziele, Speed und Kurs konnten so alle 20 Minuten kontrolliert werden. Mitten in der Nacht frischte dann der Wind auf, und ich musste gegen zunehmende Welle ins 1. Reff -kein Problem. Gegen Ende der Nacht wurde es noch ruppiger, der Wind pendelte sich bei 20 kn ein, die Wellen wuchsen mit auf 1 bis 1,5 m und ich beobachtete argwöhnisch die Schräglage. Registrierte, wie die schräg seitlichen Wellen das Schiff abbremsten. Und entschloss mich dann, das Boot gegen die Wellen in den Wind zu bringen, um das zweite Reff zu setzen. Das ging besser als ich befürchtete, es war gleich weniger Grundschräglage bei etwas weniger speed. Aber alle paar Wellenperioden kamen zwei größere Wellen, die dann für entsprechend lautes Einsetzen sorgten. Respektvoll, aber nicht ängstlich verfolgte ich das ein paar Minuten, dann hatte ich mich an das Muster und die Schiffsreaktionen gewöhnt. Der Autopilot tat seinen Job vorbildlich und ich ging wieder nach unten, um mich auszuruhen. Tatsächlich war es beruhigend, den Turnus der Wellen- und Bootsbewegungen zu registrieren. Der immergleiche Ablauf sorgt für mentale Sicherheit und das Ausruhen ging auch bei den Bedingungen problemlos.
In weiten Strecken war allerdings unter 10 kn Wind, teils nur 3-5 kn, da habe ich stundenlang beimotort, weil ich ja einen Zeitplan hatte. Und so verging die Zeit, die zweite Nacht kam und verlief wie die erste Nacht, nur ohne zweites Reff.
Da ich den ganzen Tag nicht wirklich Anstrengendes tat war ich auch nicht wirklich müde. Ich legte mich voll angezogen auf die Steuerbordbank im Salon, Kopf auf Ellebogen und in den Ellebogen mein Handy mit Timer. Das funktionierte nach Helgoland und das funktionierte auch jetzt.
Zwischendurch probierte ich vieles aus, wie es auf längeren Strecken sein würde. Eine interessante Erfahrung ist, wenn man etwas in der Pfanne macht, sagen wir mal englisches Frühstück mit Spiegelei und Tomaten. Normalerweise holt man das mit dem Pfannenheber auf den Teller, indem man die Pfanne festhält. Dann rutscht aber der Teller weg. Hält man links den Teller und rechts den Pfannenheber, so kriegt man das Essen aus der Pfanne nicht wirklich gut auf den Pfannenheber. Praktische Probleme hat.
Und Spülen mit nur einem Becken ist auch suboptimal, das war mir aber vorher bewusst. Leider geht ein zweites Becken so nicht auf meinem Boot, irgendwas ist ja immer. Man kann sich dann mit einem Eimer oder einer großen Schüssel behelfen, in die man die gespülten Dinge tut. Aber da ich nur wenig Spülzeug hatte, habe ich immer ein Teil abgewaschen, direkt abgetrocknet und weg gelegt. So geht’s auch ohne Bruch.
Insgesamt zweimal hatte ich unklaren Kollissionskurs. Ich habe dann auf den Plotter getippt, um den Namen des Frachters/Fischers zu sehen, und diesen kurz auf Kanal 16 angefunkt und nachgefragt, ob dieser hinter mir durch geht. Einfach, damit klar ist, dass ich gesehen werde und es keine Probleme gibt. Der Fischer antwortete sofort, der Frachter auf zweites Anfunken -alles kein Thema. Erstaunlicherweise sieht man manche Berufsschiffe tagsüber in Sichtweite, aber nicht als AIS. Bei Annäherung auf 5 sm kommt dann auf einmal ein AIS-Signal…
Die große Aufregung kam dann vor Whitby. Im Reeds war die Einfahrt mit durchgängig 1 m Mindesttiefe angegeben. Das zweifel ich nachträglich an, aber glaube das natürlich in fremdem Gebiet. 1m ist zu wenig für mich, mit Kiel hoch 1,27 m plus Wasser darunter. Also habe ich angefangen zu rechnen, wie die Tide dort ist und wann ich dann da sein muss. Dazu die andere Zeit beachten, sonst stimmt ja wieder nicht. Die letzten Stunden dann beimotort, um die Mindestgeschwindigkeit von 5 kn zu halten. Dann zwischen Aufschwemmungsgebiet und Nordgefahrtonne durch, anschließend mit Hilfe der gelben Tonnen auf 168° in die Einfahrt -angespannt, aber problemlos. An das Kielaufholen hatte ich auch rechtzeitig gedacht.
Dann hatte ich mich auf 6 Stunden Wartezeit eingestellt, bis die Drehbrücke vor dem Hafen wieder öffnet. Der Brückenwächter hat mir schon nach Anfunken einen Platz bei den Fischern im Vorhafen zugeteilt, eilte dahin, dass ich es auch klar erkennen kann, und meinte dann kurz vor dem Anlegen von mir, dass die Brücke doch noch einmal in ca. 20 Minuten öffnet. Dafür lege ich nicht an dem Pier ohne Schwimmsteg an sondern wartete auf dem Wasser. Zusammen mit einem 26“ Holländerboot mit 4er-Besatzung, auch aus Harlingen kommend, und einem Berufsschiff gings dann durch und ich wurde an ein deutsches ca. 45“ Boot dirigiert. Perfekt, da war ich angekommen.
Jetzt noch Zoll infomiert, wunschgemäß per Mail, dabei keine Antwort bekommen, also angerufen, und gute 3 Stunden später durfte ich von Bord. Die längste Fahrt ohne Unterbrechung lag hinter mir. Und Whitby war eine wundervolle Empfehlung -ein tolles Städtchen, das ziemlich alles zu bieten hat, siehe die Fotos.
Morgen geht es dann zurück. Heute ist zu starker Wind bis 30 kn, das muss
nicht sein. Morgen sind nachfolgende Wellen von 1,3 m angesagt, aber nur ca. 8 – 10 kn Wind, in Böen bis 15 kn. Mal sehen, ob ich mich traue, den Code 0 zu ziehen. Oder gar den neuen
Parasailor.
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